Auf der folgenden Internet-Seite befindet sich diese Kritik von Hartmut Helms http://www.ostrockforum.com/index.html?berichte/muwo100410/muwo.htm
Music Workshop 2, Frankfurt/Oder - Blues und Rock bei
Kleist Was haben Heinrich von Kleist und die Rockmusik gemeinsam?
Wer jetzt vorschnell mit “NICHTS” reagiert, liegt schon mal straff daneben, denn in Kleist’s Geburtsstadt
Frankfurt/Oder wird nicht nur das Werk des Dichters, Dramatiker und Erzählers gepflegt und wach gehalten, sondern von einigen Unentwegten mit langen Haaren und
noch längeren Bärten wird auch liebevoll das Breite Spektrum der Rock- und Blues-Musik gepflegt. Sinniger Weise beides auch ab und an im KLEIST-FORUM, ohne dass
irgend jemand einen Widerspruch darin sehen würde. Ein Lob den freien Geistern des Brandenburgischen Landes!
Es ist schon der 2. MUSIC WORKSHOP, den die Mitglieder des Vereins LIVE IN REITWEIN auf die Beine gestellt haben. Auf einem Werbeband am Haus ist es zu lesen: 6 Konzerte, 4 Bühnen und Musiker aus 8 Ländern. So etwas stellt man nicht mal eben so mit links auf die Beine und dann auf die Bühnen – Kompliment!
Von außen wirkt das Kleist-Forum ein wenig unterkühlt mitten in die Stadt gestellt, doch dieser Eindruck verflüchtigt sich
schnell, wenn man erst mal drinnen ist. Hier wird die Kühle des Glases und das Stahlgrau der Außenfassade in Gemütlichkeit, Licht und Wärme verwandelt. Mich
empfangen ein von Licht durchflutetes Foyer, Nischen, Gänge und gemütliche Sitz- und Stehkombinationen laden zum Verweilen ein.
Auf einer Bühne
im Foyer stehen Musikinstrumente Plus Technik, in der Wandelhalle auf einem kleinen Podium das gleiche noch einmal, nur eine Nummer kleiner. Von dort aus
gelangt man zur Studiobühne und auch dort im Halbdunkel die gleiche Szenerie. Nur die Türen zum großen Saal sind noch verschlossen.
Inzwischen hatte sich bei den meisten rumgesprochen, dass ENGERLING aus Berlin krankheitsbedingt nicht im Foyer auf der Bühne stehen
würden. Das Instrumentarium gehört zu B.B. & THE BLUESSHACKS, von denen Götz Alsmann meinte, sie seien die wohl beste Bluesband Deutschlands, die er je
gehört hätte. Bei so viel Vorschußlorbeeren aus Richtung WDR schalte ich erst mal auf Abwarten. Der Mann mit der Riesenlocke aus der
Rock’n’Roll-Gruft kann unmöglich ENGERLING, MONOKEL oder KERTH gehört haben, denke ich. Doch die fünf Herren aus Hildesheim geben wohl selbst nicht
all zu viel auf solcherlei Statements. Sie rocken ab 19.°° Uhr im Stil der späten 40er und frühen 50er Jahre los und so langsam macht sich Stimmung
breit. Die Mischung aus Chicago- und Delta Blues, aus Rock’n’Roll-Standards und alten Soul-Schnulzen kommt an und während Gitarrist ANDREAS ARLT
die ersten Soli abfackelt, springt der Funke über. So eine Gitarre habe ich schon Ewigkeiten nicht mehr gehört! Dieser Sound klingt doch tatsächlich wie eine
Mischung aus Duane Eddy und Roy Orbison und sein Bruder MICHAEL ARLT könnte glattweg als ein Star jener Zeit durchgehen. Die BLUESSHACKS haben mich durchweg
überzeugt und die Begeisterung von Herrn Alsmann kann ich auch verstehen. Er sollte mit dieser Band mal gemeinsam auf der Bühne stehen, aber auch ohne den Mann
vom WDR kann ich die Band ohne Bedenken empfehlen – unbedingt mal live anhören!
Während der Rock’n’Roll noch mit meinen Füßen
wippt, sitze ich jetzt im kleinen Saal der Studiobühne. Ein umfangreiches Percussions-Arsenal lässt ahnen, was hier gleich geschehen wird. Der Weltenbummler
in Sachen Percussion, der stille Meister der Klänge und Lokalmatador HERMANN NAEHRING gibt endlich mal in seiner Heimatstadt eine Probe seines Könnens. Die
große Japanische Trommel, die TAIKO, hatte mich schon vergangenen Herbst im Dom zu Bautzen in ihren Bann gezogen und mit deren Trommelklängen füllt sich nun der
Raum. Erstaunlich, welches Klangspektrum damit zu zaubern geht! Als sich NAEHRING dann mitten in sein “Instrumentarium” begibt, beginnt der
eigentliche Zauber. Über uns bricht die Leichtigkeit von Klängen, Tönen und Rhythmen herein, Musik in ihrer einstigen Ursprünglichkeit, die erzählt, spricht
und beschwört.
Und dann beginnt dieser leise Mann auf so einem riesigen Marimbaphon zu spielen, ein paar spanische
Kinderlieder, wie er lächeln ankündigt. Was für ein Schelm sich doch manchmal in einem Musiker versteckt, denn mir geht es wie vielen anderen auch, entweder
zitiert er gekonnt aus Carmen’s “Draußen am Wall von Sevilla” oder Bizet hatte schon damals Kinderlieder verarbeitet. Nachfragen geht leider
nicht mehr. Ebenso faszinierend ein Stück für Schlagwerk, das er als “Monodrome” ankündigt und sich in drei völlig unterschiedlichen Teilen durch
den kurzen Konzertabend zieht. Am Ende tobt und trampelt die brechend volle Studiobühne gegen den Zeitplan des Veranstalters, doch der ist unerbittlich. Leider!
Ich
tausche meinen Platz in einer hinteren Reihe gegen einen ganz vorn, um einen Ausnahmegitarristen auf die Finger schauen zu können. CHARLIE EITNER’s WORLD
MUSIC PROJECT ist in dieser Konstellation einmalig zusammen auf der Bühne in Frankfurt/Oder. Im ersten Teil lässt sich CHARLIE nur von DANIEL “TOPO”
GIOIA aus Argentinien mit sparsamen Percussionen begleiten. Was wir dann erleben, ist schlicht eine völlig neue Klangwelt, die er da aus den Gitarrensaiten
zaubert. Ich sehe seine Finger über die Saiten jagen und kann mir sehenden Auges nicht vorstellen, wie man(n) mit diesen Fingern so etwas spielen kann. Nach
und nach schichtet er Tonfolgen, Figuren und Fragmente über- und nebeneinander, lässt sie schweben und klingen, um darüber Improvisationen aus Fingerfertigkeit
und Explosivität zu spielen. Er nennt so etwas “Flinke Füße” oder “Das wahre Fis” und eines einfach nur “Spanien
Solo”. Etwas ähnliches in der Spielweise, jedoch quasi als “Slow-Motion in Folk” habe ich vor einem Jahr bei TINY VIPERS in Dresden
erlebt. CHARLIE EITNER ist einfach nur expressiver und voller Spielwitz. Der Argentinier ist ihm dabei ein zurückhaltender aber durchaus gleichwertiger
Partner, was er solistisch natürlich ausgiebig zeigen kann.
Den zweiten Teil bestreitet EITNER zunächst im Trio mit
HANS “DIE GEIGE” und auch hier merkt man, dass Improvisieren viel mit Spaß und Vergnügen zu tun hat. Beide werfen sich öfter Einsätze und
Spielpassagen, um danach wieder gemeinsam zu musizieren. Zum Schluss macht RON RANDOLF mit seiner Gitarre das Quartett komplett. Der Mann aus den USA kennt
offensichtlich keine Aufwärmphase und gemeinsam bringen die vier Erzmusikanten die Studiobühne in Wallung und den Zeitplan endgültig aus den Fugen. Mir blieb
Charlie’s “Schlusswort” in Erinnerung, in dem er meinte, dass HERMANN NAEHRING ja “vor Jahrmillionen mal “Percussion &
Strings” gegründet und dieses Projekt eigentlich eine Neuauflage verdient hätte.” Mal abwarten was passiert…
Die Zeit zwischen
20.°° und 23.°° Uhr habe ich in der Studiobühne verbracht, um zwei grandiose Jazz- und Weltmusiker mit ihren Gästen zu erleben. Allein dieser drei Stunden wegen
hätten sich die 170 Kilometer von meinem Heimatort bis in die Oderstadt gelohnt. Diese Kombination mit einer derartigen Klang- und Soundbreite, bekommt man so
schnell nicht wieder an einem Ort geboten. Ich hab’s genossen, zumal mir NAEHRING, EITNER und “GEIGE” nicht gerade unbekannt sind. Doch wer
das eine möchte, muss eventuell auf etwas anderes verzichten können. Die Blues-Töne von BERND KLEINOW, den ich schon lange nicht mehr gesehen hatte, von
BLUESRUDY und PETER SCHMIDT (East Blues Experience), sind mir leider durch die Lappen und somit nicht in die Ohren gegangen. Ein dicht gestrickter
Veranstaltungsplan aus lauter musikalischen Leckerreihen überließ jedem selbst die Qual der Wahl, worauf er freiwillig verzichten musste und worauf lieber
nicht. Diejenigen, die bis hierher durchgehalten hatten, trafen sich danach im großen Saal wieder.
Die Blütezeit
des “Progressive Rock” waren sicher die 70er Jahre. Große Namen schmückten die Plakate und so manches weltbekannte Logo die Plattencover. Doch es
gab damals auch Bands, die, trotz eines hohem musikalischen Anspruchs und hochgelobter Album-Produktionen, den ganz großen Durchbruch nie schafften. Wer kennt
heute noch die englischen CARAVAN und wer kann sich noch an TITANIC aus Norwegen und ihren Riesenhit “Sultana” erinnern?
Aus
Gesprächen konnte ich entnehmen, dass viele mit dem Namen nichts anzufangen wussten und die Band namens TITANIC eher dem Art-Rock zuordneten. Nun sind
Schubladen von jeher keine Gradmesser für Qualität, aber leider bei vielen ein Anreiz für oder gegen irgend etwas. Die einstmals Norwegische Band hatte es
schwer an diesem Abend. Ein bis in die Ränge bestuhlter Theatersaal und ein Publikum, das offensichtlich andere Erwartungen hatte, machte es den Altrockern
nicht gerade leicht, an alte Konzerteuphorie anzuknüpfen. Hinzu kam, dass Sänger und Frontmann ROY ROBINSON kürzlich einen Schlaganfall erlitt und derzeit
pausieren muss. Hut ab vor dem Gitarristen JANNE LOSETH, der diesen Part vollständig und vollwertig übernahm und versuchte, zu später Stunde den Unentwegten
in den Stühlen Dampf unter den Hintern zu machen.
TITANIC war eine meiner damaligen Geheimtips und sie machten auf
der Bühne genau das, was ich mir gewünscht hatte. Sie spielten eine Auswahl jener Stücke, die, verteilt auf vier erstklassigen Rock-Alben, das Klangbild der
Band in den 70er Jahren ausmachten. Musik, irgendwo zwischen Santana - Rhythmik und einem Orgelspiel wie bei Frumpy oder Vanilla Fudge- – typisch TITANIC
eben. Immer dann, wenn “Sultana” erklang, als sie “Searching” spielten und die Hammond bei “I See No Reason”
stöhnte, stand ich glücklich an der Bühnenkante und vergaß die leeren Stuhlreihen hinter mir. Solche Stücke wie “Macumbo” und “Eagle
Rock” klingen noch immer rockig und die Klänge des Saxophon beißen sich rau und wild im Sound der Band fest. Der alte Klassiker “Peter Gunn”
gerät zu einem Orkan, den nur noch wenige der noch Anwesenden als solchen spüren oder sich ins Gesicht pusten lassen. Vielleicht sind die Zeiten für das, was wir
einst “progressiv” nannten, vorüber, aber es gibt noch einige, die dankbar der Musik lauschen und sich ihren Gefühlen hingeben. Deswegen bin ich
dorthin gefahren und kein Kilometer tut mir leid! Thanx so much!
Natürlich ist mir klar, dass es
wünschenswert ist, wenn sich solche Events auch rechnen, damit man auf eine Fortsetzung hoffen darf. Ich weiß aber auch, dass Kultur und Kunst nicht geeignet
sind, einen Profit-Center daraus zu machen, schon gar nicht, wenn sie bilden und Gedanken formen sollen. Das sollte uns Kleist schon gelehrt haben und das
eine ist so notwendig, wie das andere dringend erforderlich wäre. Das haben dann der alte Dichter und der jung gebliebene Rock’n’Roll auf jeden Fall
auch noch gemeinsam.
Deshalb wünsche ich dem Verein LIVE IN REITWEIN e.V. für die Zukunft stets intelligente wie
finanzstarke Unterstützer und weiterhin so tolle Ideen sowie uns allen einen Workshop zum dritten Male. DANKE für die Mühe und den guten Geschmack, Jungs!
|